Mitbestimmung aller Mitglieder gewährleisten

FoodCoops sind Lernorte von Demokratie. Diese Erkenntnis ist an sich schon ein starkes Argument, um Mitbestimmung zu fördern. Es gibt aber noch einen weiteren, pragmatischen Grund: Ohne Mitbestimmung funktionieren FoodCoops ganz einfach nicht gut.

Warum?

  • Mitbestimmung ist Voraussetzung für leidenschaftliches Engagement der Mitglieder, un d darauf ist jede FoodCoop angewiesen. Wer will schon nur ehrenamtlich schuften, aber bei Entscheidungen nichts zu melden haben? Eine Gruppe ist in Balance, wenn sich bei allen Mitgliedern ihr Beitrag zur Mitbestimmung, Mitverantwortung und Mitarbeit die Waage hält.
  • Mitbestimmung ist Voraussetzung für „Resilienz“, also die Widerstandsfähigkeit der FoodCoop gegen Probleme. Wird die Verantwortung auf viele Schultern verteilt, ist die Gruppe stabiler und kann auf Krisen besser reagieren, weil sie auf das Know-how und die Erfahrungen vieler Menschen zurückgreifen kann. In einer FoodCoop, die von einer Handvoll Mitglieder getragen wird, ist der Austritt von diesen Personen eine existenzielle Bedrohung. Ein stabiles Netzwerk aus vie len Mitglieder kann den Austritt einiger Mitglieder recht lei cht abfe dern. Darum sollte die Verantwortung auf möglichst alle Mitglieder aufgeteilt werden. Aber, wie gerade erwähnt, wer will schon gerne Verantwortung übernehmen, ohne mitentscheiden zu können?
  • Mitbestimmung führt zu Bewusstseinsbildung. FoodCoops tragen deshalb zur Bewusstseinsbildung bei, weil sie die klassische Rolle des „passiven Konsumierens“ aufbrechen. Wenn „etwas nicht passt“, reagieren klassisch passive Kundschaften im schlimmsten Fall mit Ärger und Unverständnis, den sie aber nicht kommunizieren und kaufen künftig woanders ein. Im besten Fall informieren sie eine „verantwortlichen Stelle“ und erwarten, dass sich „dort wer um das Problem kümmert“. Gelernt wird dabei nichts.
  • FoodCoops stellen eine Alternative zum Abgeben von Verantwortung dar. Jedes Mitglied ist selbst ein Teil der „verantwortlichen Stelle“, ein Perspektivenwechsel, der ganz andere Kommunikationsmuster und Verhaltensweisen fördert. Gemeinsam Ursachen für Probleme ergründen, nach Lösungen suchen und diese umsetzen, stellt eine Werkstätte mit hohem Lernpotential dar. FoodCoops sind somit auch ein Ort für Persönlichkeitsbildung. Gibt es in der FoodCoop einen „Vorstand“ oder ein „Kernteam“, wo Entscheidungen ohne Miteinbeziehung aller Mitglieder getroffen werden, so ist die Gefahr groß, dass die „einfachen Mitglieder“ in der klassisch passiven Rolle verharren, schließlich gibt es ja dann auch wieder „eine verantwortliche Stelle“. Manche Mitglieder werden das sogar bequem finden, auf Dauer destabilisiert es aber die Gruppe.

Basisdemokratie – Mitbestimmung von allen

FoodCoops sind basisdemokratische Initiativen, d. h. Entscheidungen werden von allen Mitgliedern gemeinsam getroffen, meist im Rahmen des Plenums.

Achtung: Basisdemokratie wir fälschlicherweise häufig mit Konsensentscheidungen gleichgesetzt. Basisdemokratie sagt aber nur aus, dass Entscheidungen gemeinsam von der ganzen Gruppe getroffen werden, aber nichts über die Art und Weise wie die Abstimmung genau funktioniert.

Dass sich FoodCoops als basisdemokratische Initiativen verstehen, bedeutet nicht, dass jede Detailentscheidung von allen getroffen wird. Im Plenum entscheiden alle Mitglieder gemeinsam über Grundsätzliches, kleine Alltagsfragen können und sollen durchaus eigenständig in Arbeitsgruppen geklärt werden, damit sich das Plenum auf die zentralen Fragen konzentrieren kann!

Varianten der Entscheidungsfindung in Gruppen

  • Mehrheitsentscheid: In der Gruppe wird mit Ja oder Nein abgestimmt, bei Erreichen einer gewissen, vorher definierten Mehrheit (51%, 2/3 oder andere Prozentzahl) geht eine Option als Sieger hervor.
    Vorteil: Einfach umsetzbares und klares System
    Nachteil: Inhalte werden künstlich auf ein Entweder-Oder reduziert, Fragestellung beeinflusst das Ergebnis, Minderheit (im schlimmsten Fall 49%) wird übergangen.

  • Konsensvariante: Jedes Mitglied der Gruppe hat ein Vetorecht, d. h. nur wenn niemand ein Veto einlegt, kann eine Entscheidung getroffen werden.
    Vorteil: Es kann niemand übergangen werden, jede Meinung muss mit berücksichtig werden.
    Nachteil: Jede einzelne Person kann jederzeit alles blockieren, Einigkeit kann lange bis ewig dauern.

  • Konsententscheid: Ähnlich wie die Konsensvariante, jedes Mitglied kann ein Veto in Form eines schwerwiegenden Einwands einlegen. Der schwerwiegende Einwand muss auf inhaltlichen Grundsätzen beruhen (etwa den zentralen FoodCoop-Zielen), es handelt sich dabei also nicht um ein prinzipielles Vetorecht.
    Vorteile: Stärkerer inhaltlicher Fokus als bei der Konsensvariante.
    Nachteil: Jedes Mitglied entscheidet selbst, was ein schwerwiegender Einwand ist, rhetorisch begabte Mitglieder haben erst recht wieder ein Vetorecht, da jedes „Nein“ irgendwie inhaltlich argumentiert werden kann.

  • Systemisches Konsensieren Bei dieser Methode werden alle Vorschläge mit „Widerstandspunkten“ bewertet, der Vorschlag, der den wenigsten Widerstand hervorruft, gewinnt. Diese Variante erscheint anfangs ungewohnt und kann aufgrund ihrer Komplexität an dieser Stelle auch nicht ausführlich beschrieben werden. Weitere Infos siehe http://www.konsensieren.eu
    Vorteile: Ausgeklügeltes System, keine Beschränkung von Inhalten und Ideen, bildet Gruppenmeinung am besten ab, Abstimmungen können auch online durchgeführt werden
    Nachteile: Einführung notwendig, hoher Aufwand, bedarf guter Vorbereitung und guter Moderation, (kleine) Minderheit wird übergangen

Welche Varianten sind für FoodCoops geeignet?

Für wirklich wichtige Grundsatz-Entscheidungen ist das Systemische Konsensieren empfehlenswert, weil die Chance auf ein Ergebnis von hoher inhaltlicher Qualität hoch ist, und sogar die überstimmte Minderheit durch leichte Ergebniskorrektur mit ins Boot geholt werden kann. Der hohe Aufwand macht sich also meist bezahlt. Achtung, eine gute & erfahrene Moderation ist Voraussetzung für das Gelingen, ebenso eine Einführung für alle Teilnehmenden.

Praxistipp: Probiert diese Variante zuerst einmal mit einer einfachen Frage, bevor ihr damit heikle Themen zu lösen versucht!

Für kleine, „alltägliche“ Entscheidungen ist der Aufwand des Systemischen Konsensierens zu hoch. In gut harmonierenden Gruppen passt der Konsententscheid am besten zur FoodCoop-Idee. In dem Wissen, dass alle dieselben Ziele verfolgen vertrauen sich die Mitglieder gegenseitig, dass die Möglichkeit des schwerwiegenden Einwands nicht missbräuchlich verwendet wird. Diese Variante ist auch für Arbeitsgruppen sehr gut geeignet. Ist die Gruppe (noch) kein eingespieltes Team, so ist auch die Variante mit klassischer Abstimmung möglich. Allerdings sollte der nötige Prozentsatz für eine Entscheidung bei mindestens 66% liegen, und bei der Diskussion vorher nie- mand übergangen werden (Tipp: Blitzlichtrunde siehe Kapitel 2.4). Ansonsten wird eine zu große Minderheit erzeugt. Alternativ dazu eignet sich auch das „Schnellkonsensieren“, wo die Punkteskala nur aus 3 Möglichkeiten besteht, und wo jede Option per Hand heben bewertet wird (keine, eine oder zwei Hände heben, die Option mit den wenigsten „Widerstandshänden“ gewinnt).

Achtung: In einer FoodCoop sind alle Mitglieder gleichberechtigt, Behörden können dies jedoch anders sehen und suchen im Ernstfall oft gezielt nach einer verantwortlichen Einzelperson (Leitungsorgan laut Vereinsstatuten oder die Person auf die das Konto oder der Mietvertrag läuft).

Durch interne, solidarische Abmachungen kann dies teilweise abgefedert werden. Auch können bei Entscheidungen, die ein Risiko für einzelne haftbare Vereinsmitglieder darstellen könnten, Ausnahmen vom generellen Abstimmungsmodell gemacht werden. Die haftbaren Mitglieder erhalten ein Vetorecht, nur wenn sie selbst zustimmen, wird die Entscheidung getroffen und sie haften für eventuelle Konsequenzen.

Schattenseiten der Mitbestimmung von allen

  • Mitbestimmung kostet Zeit und Energie, nicht nur jedem einzelnen Mitglied, sondern auch der Gruppe. Es ist aufwändiger in einer Runde von 30 Personen zu einer Entscheidung zu kommen, als in einer Kleingruppe. Wichtige Voraussetzungen, um überhaupt in einer großen Runde entscheidungsfähig zu sein, sind grundsätzliche gemeinsame Ziele, Disziplin der einzelnen Mitglieder, Einigkeit über Gesprächskultur und geeignete Methoden der Entscheidungsfindung.
  • Manche Mitglieder haben Zeit und Lust auf ausführliche Diskussionen zu nahezu jedem Thema. Das kann aber nicht automatisch von allen anderen Mitgliedern erwartet oder gar gefordert werden. Da in ehrenamtlichen Strukturen Zeit und Energie nur begrenzt vorhanden sind, ist es wichtig, sich gemeinsam zu überlegen, für welche Themen die wertvollen Ressourcen aufgewendet werden.