Produktkriterien definieren = das Schlüsselthema der Gründung
Die Gründung einer FoodCoop bringt so manches trockene Thema mit sich, das Ausarbeiten von Vereinsstatuten etwa wird nicht viele Mitglieder von den Hockern reißen. Im Gegensatz dazu steht die zentrale Frage: „Welche Produkte werden in das FoodCoop-Sortiment aufgenommen?“ Hier treffen sicherlich verschiedenste Meinungen aufeinander, emotionsgeladene Diskussionsrunden sind gewiss. Dieser Prozess ist besonders wichtig! Denn eine FoodCoop ist genau dazu da, Frage wie diese selbstbestimmt zu beantworten. Die Mitglieder sollen sich über eigene Positionen
Gedanken machen und vorherrschende Meinungen aus Politik, Wirtschaft, Medien etc. kritisch hinterfragen. Das geht wunderbar im Austausch mit Gleichgesinnten. Die eigene Bewusstseinsbildung ist aber nicht der einzige Grund, dem Thema Produktkriterien viel Raum zu widmen. Eine FoodCoop braucht eine gemeinsam zustande gekommene Regelung
- um in Folge Lieferantinnen auswählen zu können,
- für eine klare Positionierung, sowohl in der Außendarstellung, als auch intern für neu dazukommende Mitglieder, denn diese verlassen sich darauf, dass die Produkte in der FoodCoop gewissen Ansprüchen gerecht werden,
- aus gruppendynamischen Gründen. Die Mitglieder sollen sich mit der Regelung identifizieren können, eine kollektive „Dafür engagieren wir uns gerne!“-Stimmung ist das Ziel.
Achtung: Anders als bei den grundsätzlichen Leitgedanken reichen Schlagworte wie regional, ökologisch, fair, ... für konkrete Produktkriterien nicht mehr aus, denn die einzelnen Interpretationen dieser Wörter können recht unterschiedlich ausfallen.
Als Unterstützung für eure Diskussionen bieten die folgenden Seiten eine vertiefte Auseinandersetzung mit klassischen FoodCoop-Schlagworten:
Regional
In diesem Punkt sind eigentlich immer alle einig, und zwar so
lange, bis die Frage auftaucht, was denn „regional“ jetzt konkret
bedeutet. Aus dem Ort? Aus dem Bezirk? Aus einem gewissen
Kilometer-Radius? Aus Österreich? Von Bäuerinnen, die man
persönlich kennt? Soll nur die Endprodukte regional sein oder
auch die Rohstoffe?
Um auf einen sinnvollen gemeinsamen Nenner zu kommen,
ist die Veränderung der Fragestellung hilfreich:
„Warum ist Regionalität wichtig?“ führt zu den eigentlichen
Ansprüchen: Persönliche Beziehungen? Möglichst wenige
Transportkilometer, um das Klima zu schonen?
Dadurch wird aufgezeigt, dass Regionalität alleine – frei nach
dem Spruch: „Mist bleibt Mist, auch wenn er aus dem eigenen Dorf
kommt!“ kein Wert an sich ist, sondern eine Voraussetzung für
wesentliche FoodCoop-Ziele.
Achtung, da Regionalität nicht gesetzlich definiert ist, wird der Begriff gerne oberflächlich oder missbräuchlich verwendet. Der Spruch „regional schont das Klima“ ist nicht automatisch immer richtig. Heimische Äpfel im Frühling gekauft haben oft eine deutlich schlechtere Klimabilanz als Äpfel aus Südamerika. Der Energieaufwand für den Schiffstransport ist niedriger als jener der Lagerung.
„Regional“ bedeutet nicht automatisch klimaschonend. Kühleinrichtungen verbrauchen in bestimmten Fällen mehr Energie als lange Transportwege. Was bedeutet das für das FoodCoop-Sortiment?
Soll eine FoodCoop darum argentinische Äpfel aus anonymen Großhandelsstrukturen beziehen? Natürlich nicht, weil dies in Widerspruch zu anderen FoodCoop- Zielen steht. Das Beispiel soll darauf hinweisen, dass allzu einfache Regeln (wie etwa starren km-Grenzen) wenig Sinn machen. So kann es vorkommen, dass eine weit entfernte Bezugsquelle durchaus im Sinne des FoodCoop-Ziels „energiesparender Transport“ ist, wenn z.B. ein Mitglied der FoodCoop dorthin in die Arbeit pendelt und am Heimweg die Bestellung mitnimmt oder die FoodCoop ohnehin gut in die bestehende Liefertour der Produzentin passt. Die isolierte Frage: „Wie weit weg ist der Bauernhof?" ist nicht ausreichend. Ob ein Produkt in eine FoodCoop passt, kann nur mit einer Kombination aus Fragen beantwortet werden.
Biologisch/Ökologisch
„Unsere FoodCoop hat sich für biologisch produzierte Produkte entschieden. Das führt immer wieder zu Lücken im Sortiment und Ausschluss von regionalen, kleinbäuerlich produzierten konventionellen Produkten. Der Entschluss für Bio bei allen Produkten bietet uns dafür eine gute Basis bei der Qualität der Produkte.“ (Zitat von einem FoodCoop Mitglied. )
Muss in einer FoodCoop alles „Bio“ sein? Um diese Frage beantworten zu können, muss zuerst einmal geklärt werden was „Bio“ bedeutet. Im Unterschied zu völlig undefinierten „regionalen Lebensmitteln“ ist gesetzlich sehr genau geregelt, was „biologische Lebensmittel“ sind. Neben den EU-weiten Mindeststandards – ausgewiesen durch das grüne Sternen-Logo – sorgen zusätzliche nationale Gesetze und darüber hinaus noch Verbandsrichtlinien (BIO AUSTRIA, Demeter, ...) für Qualitätskennzeichnung. Das heißt, es gibt bei Bio verschiedene Standards. BIO AUSTRIA etwa ist ein freiwilliger Zusammenschluss von österreichischen Biobauern und Biobäuerinnen. Die BIO AUSTRIA Qualität hebt sich in mehr als 170 Punkten vom Bio EU-Mindeststandard ab (mehr Infos siehe http://www.bio-austria.at)..)
Ein „Bio“-Pickerl alleine ist für FoodCoop-Ansprüche aber nicht ausreichend, denn die Mitglieder verbinden mit ökologischer Produktion oft mehr als nur Gesetzestexte oder Gütesiegel, und wollen „ein authentischeres regionales Bio“. Dieser Gedankengang kann soweit führen, dass die „offizielle Biozertifizierung“ generell abgelehnt wird. Schließlich überzeugen sich die Mitglieder eh selbst von der Arbeitsweise ihrer Lieferantinnen. Die persönlichen Eindrücke von „Speisereisen“ zu den Bauernhöfen sind in der Tat nicht ersetzbar. Beim Rundgang durch den Stall sind die Lebensbedingungen der Tiere sichtbar, und in persönlichen Gesprächen kommt meist schnell ans Licht, welche Werte am Bauernhof gelebt werden.
Allerdings ist eine Speisereise immer nur ein punktueller Einblick in die bäuerliche Welt. Oft mangelt es den Mitgliedern auch am nötigen Hintergrundwissen, um die richtigen Fragen zu stellen. Ob es für Tiere prinzipiell einen Auslauf ins Grüne gibt, ist bei einem Besuch leicht feststellbar, wie oft er genutzt wird, ob er artgerecht gestaltet ist oder wie sich das auf die Fütterungsweise auswirkt ist für Laien jedoch nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar. Ja es gibt sie tatsächlich, die nicht zertifizierten, ökologischen Bilderbuchbetriebe. Doch regionale, kleinstrukturierte Landwirtschaft bedeutet leider nicht automatisch ökologische und tiergerechte Landwirtschaft. Was hilft der idyllische Anblick eines Bergbauernhofes, wenn zur Unkrautbekämpfung auf der Weide Glyphosat eingesetzt wird und das beim regionalen Händler bezogene Futter für die lieben Tiere gentechnisch verändertes Soja aus Südamerika beinhaltet?
An dieser Stelle soll das weitverbreitete Gerücht zerstreut werden, dass eine Bio-Zertifizierung für kleine Betriebe schwer leistbar ist. Dieses Totschlagargument kommt oft von Personen, die sich mit der biologischen Wirtschaftsweise nicht wirklich auseinandergesetzt haben. Die Kontrollkosten sind abhängig vom Ausmaß der landwirtschaftlichen Tätigkeiten und somit auch für kleine Betriebe leistbar. Auch der bürokratische Aufwand hält sich in Grenzen, normalerweise müssen einmal jährlich Rechnungen etc. an die Biokontrollstelle übermittelt werden, um die Bioqualität von zugekauften Rohstoffen usw. zu belegen.
Beim Thema Qualität ist also eine Kombination aus offizieller Zertifizierung und einer persönlichen, vertrauensvollen Beziehung ideal, denn das eine ersetzt das andere nicht. Nur „regional“ sagt nicht ausreichend über die Produktionsbedingungen und die Produktqualität aus.
Fair/Sozial
Niemand wird die Meinung vertreten, es sollen unfair produzierte Lebensmittel ins Sortiment aufgenommen werden. Ganz im Gegenteil, eine FoodCoop soll für „Fairtrade“ vor der eigenen Haustür sorgen! Aber wie? Die Schlagworte „fair“ und „sozial“ sind genauso wenig definiert wie „regional“. „Faire Preise für Produzentinnen“ ist da schon eine etwas konkretere Aussage, doch die Preisgestaltung von Lebensmitteln und die Einkommenssituation von Bäuerinnen ist durch den Einfluss der Agrarförderungen schwierig nachvollziehbar. Allgemeingültige Aussagen lassen sich also kaum treffen, besser ist es in Einzelgesprächen mit den konkreten Beteiligten offene Fragen zu besprechen, etwa: „Wieviel muss das Kilo Tomaten kosten, um unserer Gemüsebäuerin einen Netto-Stundenlohn von 10 Euro zu bescheren?“ Im Endeffekt versteht sich eine FoodCoop als solidarische Gemeinschaft, worin sowohl die Mitglieder als auch die Lieferantinnen eingebunden sind. Faire Preise für alle Beteiligten sind das Ziel. Das Thema Preisbildung wird im nächsten Kapitel „Sortiment erstellen“ nochmal aufgegriffen.
Direkt vom Bauernhof?
FoodCoop-Mitglieder wollen wissen woher ihr Essen kommt. Der anonyme Großhandel oder die verarbeitende Lebensmittelindustrie können diesen Wunsch nicht erfüllen und scheiden als Bezugsquellen aus. Das heißt aber nicht, dass automatisch auch jede regionale Händlerin oder jedes traditionelle Verarbeitungsunternehmen dogmatisch ausgeschlossen werden muss. Die entscheidende Frage ist ja nicht: „Wurde das Produkt direktvermarktet?“, sondern „Ist die Rückverfolgbarkeit des Lebensmittel so transparent, dass ein per- sönlicher Bezug bis zu den Ursprüngen hergestellt werden kann?“ Eine Metzgerin oder Bäckerin, die Rohstoffe aus der Region verarbeitet, kommt also durchaus als Bezugsquelle in Frage, weil Waren- und Geldflüsse nachvollziehbar sind und ein direkter Kontakt mit den Rohstofflieferantinnen herstellbar ist.
Zusammenfassung
Nimmt die FoodCoop ihre eigenen Ansprüche ernst, so führt kein Weg daran vorbei, jeden Einzelfall mit einer Kombination aus Fragen zu bewerten. Dabei kann es durchaus zu „Härtefällen“ kommen z. B. wenn als Gemüsequelle zwei Möglichkeiten zur Wahl stehen. Die sympathische konventionelle Altbäuerin aus dem Ort, die in ihrem Garten sicher „nix spritzt“ oder die innovative Jungübernehmerin aus der Nachbargemeinde, die moralische Unterstützung braucht, weil sie gegen den Willen ihrer Eltern auf Bio umstellt.
Ideologie trifft Realität oder: „Was tun, wenns keine Butter gibt?“ In der Praxis zeigt sich häufig, dass nicht alle Wunschkriterien so einfach erfüllbar sind. Die Realität in der Landwirtschaft ist bei weitem nicht immer umweltschonend, sozial, ...
Eine FoodCoop muss in puncto Sortiment nicht mit klassischen Geschäften mithalten können. Zwar sollte die Bandbreite an Grundnahrungsmitteln größtenteils abgedeckt sein, aber es besteht absolut kein Druck in Richtung Vollsortiment! Gibt es in der Region keine Butter, die alle FoodCoop-Ansprüche erfüllt, so trägt diese Lücke im Sortiment ja auch wieder zur Bewusstseinsbildung bei, denn es zeigt auf, dass eine flächendeckende Versorgung mit wertvollen, direktvermarktenden Grundnahrungsmitteln keine Selbstverständlichkeit ist!